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Seine ganz eigene Zeit

Aktualisiert: 24. Mai 2022

"Wenn die Menschen wüssten was der Tod ist, dann hätten sie keine Angst mehr vor ihm. Und wenn sie keine Angst mehr vor ihm hätten, dann könnte ihnen niemand mehr die Lebenszeit stehlen." Aus Momo; Meister Hora

In der Geschichte von Momo, wird den Menschen die Zeit durch die grauen Herren gestohlen. Wir wissen, das uns niemand die Zeit, die Lebenszeit stehlen kann. Außer eine schwere Krankheit und die Angst vor dem Tod natürlich. Dann ist es schwer schöne Momente zu genießen und im Hier und Jetzt zu leben.


Die Geburt, wie der Tod, sind in unserem Leben zwei ganz existenzielle Ereignisse, in dessen Prozess ich mich hineinbegeben kann, oder nicht. Wähle ich Letzteres, wird es kein leichter Weg.

Beim Sterbeprozess habe ich oft erlebt, wenn Menschen keine Angst vor dem Sterben, dem Tod hatten, sie mit sich im Reinen waren, konnten sie gut gehen. Dann konnten auch die Angehörigen leichter Abschied nehmen. Das hat mich immer wieder zutiefst berührt. Und daraus habe ich sehr viel gelernt. Ich habe gelernt mein Leben demütiger zu leben, mehr zu genießen und mehr im Hier und Jetzt zu sein.


Wenn Menschen über viele Jahre mit einer schweren Krankheit zu kämpfen haben, kann die Angst vor dem Tod ihnen die Leichtigkeit des Lebens nehmen. Wenn noch Schmerzen dazu kommen, wird es noch schwieriger.

Und es ist nicht leicht, über Wochen, ja vielleicht Monate, Jahre, einen Menschen zu begleiten, selbst ohnmächtig daneben zu stehen und nicht viel, bis gar nichts tun zu können. Einfach nur da sein und mit Aushalten. Das kann sogar auch über meine Kräfte gehen. Wie und was hier jede*r von uns tun kann, bzw. sich mit hineinnehmen lassen kann in diesen Prozess, muß jede*r selbst von uns entscheiden. Und es gilt auch nichts zu bewerten. Wir sind hier so unterschiedlich, wie wir Menschen sind! Auch diese Tatsache anzunehmen, dass ich nicht so viel Kraft habe diesen Weg mitzugehen, weil es mich zu sehr schmerzt, mir den Schlaf und die Kraft raubt, ist ein Prozess unseres Lebens und Sterbens und unserer Liebe.


Auf was ich aber hinaus möchte, ist, das ich meinen Blick auf dieses Leben verändern kann. Zu wissen, das ich endlich bin, kann mir helfen im Hier und Jetzt zu leben, die Zeit die ich habe, bewusst, dankbar und liebevoll anzunehmen und zu gestalten. Mich immer wieder erfreuen an den so vielen schönen Dingen. Lernen zu können bis zum Schluß und wahrzunehmen, das Veränderung immer wieder stattfinden kann. Mir hat es sehr geholfen, in meiner Zeit als Seelsorgerin im Hospiz, diesem Leben mit großer Dankbarkeit, aber auch mit einem "Zulassen wo nötig" zu begegnen. Ja es hat mir sogar den Umgang mit dem Leid erleichtert.

Dazu möchte ich Ihnen gerne folgende Geschichte erzählen, aus dem Buch Alexis Sorbas von Nikos Kazantzakis


Der Mann und die Raupe

Ein Mann fand Gefallen an einer Raupe und ging jeden Morgen hinaus, sie anzuschauen. Jede freie Minute verbrachte er damit, die Raupe einfach zu betrachten. Eines Tages bildete sie einen Kokon, und der Mann konnte es kaum erwarten, dass sie sich in einen Schmetterling verwandeln würde. Er schaute und schaute und wurde allmählich etwas ungeduldig.

Nach einigen Morgen bewegte sich etwas in dem Kokon, und der Mann wusste, dass die Raupe sich nun bald in einen Schmetterling verwandeln würde. Er sah, wie der kleine Kopf sich aus dem Kokon hervor wühlte und wie wunderschön er war. Doch die Raupe kämpfte mit ihrem Kokon, und der Mann war voller Mitgefühl.


Er wollte der Raupe helfen, die ja ein Schmetterling werden würde, und so zerriss er den Kokon und der Schmetterling fiel zu Boden, unfähig zu fliegen. Ein Teil des Prozesses, indem die Raupe zum Schmetterling wird, besteht im Üben mit den Flügeln innerhalb des Kokons. Dass lässt die Flügel stark genug werden, damit der Schmetterling fliegen kann.

Aus dem Roman Alexis Sorbas von Nikos Kazantzakis


Mir gefällt diese Geschichte, weil sie viel über unser Leben ausdrückt. Vieles in unserem Leben, ereignet sich auch im Verborgenen. Es geschieht etwas über unser Sehen und Verstehen hinaus. Aber manchmal bin ich sehr ungeduldig und gebe den Dingen nicht immer die Zeit die sie benötigen. Ja will vielleicht manchmal aus falsch verstandener Liebe in diesen Prozess eingreifen um Erleichterung zu verschaffen, oder weil es mir schwer fällt mit Auszuhalten.


Auch wir müssen immer wieder üben, um in dem Bild der Geschichte zu bleiben, „üben innerhalb dieses Kokons“. Was für mich im übertragenen Sinn heißt, uns in manchen Dingen ins Vertrauen hineinzubegeben und Geschehen lassen, was da geschehen wird, dabei Geduld bewahren, damit Veränderung passieren und Neues entstehen kann. Ich muß dem Prozess vertrauen der begonnen hat. Das passiert beim Geboren werden und beim Sterben, dazwischen passiert Leben in all seinen Facetten und wir dürfen üben. Üben wie der Schmetterling im Kokon, um stark zu werden für das Leben.

Stark werden, um auch Ohnmacht zulassen zu können! Stark, in der Gewissheit nicht alles im Griff zu haben und es geschehen zu lassen! Und stark im Vertrauen!!! Denn wenn wir auch nicht Leid, Schmerz und den Tod verhindern können, so können wir doch lernen uns im Vertrauen in diesen Prozess des Werden und Vergehens mit hineinzubegeben. Um das zu lernen, benötigen wir "Zeit".


Für all diejenigen unter uns, die an einen G*tt glauben, können vielleicht die Zeilen aus Koh. 3 hilfreich sein.


Das Buch Kohelet, Kapitel 3

Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:

eine Zeit zum Gebären / und eine Zeit zum Sterben, / eine Zeit zum Pflanzen / und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen,

eine Zeit zum Töten / und eine Zeit zum Heilen, / eine Zeit zum Niederreißen / und eine Zeit zum Bauen,

eine Zeit zum Weinen / und eine Zeit zum Lachen, / eine Zeit für die Klage / und eine Zeit für den Tanz;

eine Zeit zum Steinewerfen / und eine Zeit zum Steinesammeln, / eine Zeit zum Umarmen / und eine Zeit, die Umarmung zu lösen,

eine Zeit zum Suchen / und eine Zeit zum Verlieren, / eine Zeit zum Behalten / und eine Zeit zum Wegwerfen,

eine Zeit zum Zerreißen / und eine Zeit zum Zusammennähen, / eine Zeit zum Schweigen / und eine Zeit zum Reden,

eine Zeit zum Lieben / und eine Zeit zum Hassen, / eine Zeit für den Krieg / und eine Zeit für den Frieden.

Wenn jemand etwas tut - welchen Vorteil hat er davon, dass er sich anstrengt?

Ich sah mir das Geschäft an, für das jeder Mensch durch Gottes Auftrag sich abmüht.

Gott hat das alles zu seiner Zeit auf vollkommene Weise getan. Überdies hat er die Ewigkeit in alles hineingelegt, doch ohne dass der Mensch das Tun, das Gott getan hat, von seinem Anfang bis zu seinem Ende wieder finden könnte.

Ich hatte erkannt: Es gibt kein in allem Tun gründendes Glück, es sei denn, ein jeder freut sich und so verschafft er sich Glück, während er noch lebt,

wobei zugleich immer, wenn ein Mensch isst und trinkt und durch seinen ganzen Besitz das Glück kennen lernt, das ein Geschenk Gottes ist.

Jetzt erkannte ich: Alles, was Gott tut, geschieht in Ewigkeit. Man kann nichts hinzufügen und nichts abschneiden und Gott hat bewirkt, dass die Menschen ihn fürchten.

Was auch immer geschehen ist, war schon vorher da, und was geschehen soll, ist schon geschehen und Gott wird das Verjagte wieder suchen.


Für mich sind diese Zeilen sehr tröstlich, weil ich im Vertrauen durch dieses Leben gehen kann, das alles seine Zeit hat. So erlebe ich das zumindest in meinem Leben. Das ist nicht immer leicht und gelingt auch nicht immer gleich gut, aber es ist eine Haltung die mir immer wieder neu hilft. Hilft, Vertrauen in dieses Leben zu haben.


Egal ob Sie an diesen G*tt glauben oder nicht, ich freue mich, wenn es Ihnen liebe*r Leser*in gelingt dieses Leben anzunehmen wie es ist. Vielleicht nicht immer zu lieben, das wäre schön, ist aber nicht immer möglich und sicher auch eine Überforderung in so mancher Situation.

Aber ich wünsche uns allen, das die Angst vor dem Tod abgelöst wird durch ein Leben im Hier und Jetzt, das mit Freude und Dankbarkeit erfüllt ist.

Denn auch in so mancher schweren Stunde, in so manchem Leid, liegt etwas verborgenes Kostbares, was wir, wie in der Geschichte mit dem Schmetterling im Kokon, nicht gleich erkennen können und es dem notwendigen Prozess überlassen müssen.


Gerne gehe ich da mit ihnen in den Austausch, in Begleitung, sei es Geistliche Begleitung oder Trauerbegleitung.

In Beidem möchte ich mit meinem Mitgehen zu mehr Leben verhelfen.












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